Der Gottesdienst und der Raum der Gottesverehrung

Von Volker Dobers

Angesichts der bevorstehenden Renovierung der St. Johanniskirche befasste sich der Kirchenrat zwei Jahre lang mit der Thematik der konzeptionellen Planung eines Entwurfes des Kircheninnenraums. Diese Anstrengung war nötig, denn man hatte in den letzten Jahrzehnten strukturelle Mängel entdeckt (Risse, Verfleckungen sowie Probleme mit der Heizanlage und der Beleuchtung).

Während einer Zusammenkunft des Kirchenrates im späten Januar 1990 wurde angefragt, wie wir als Gemeinde zu Lüchow heute und in Zukunft den Gottesdienst in dem dafür vorgesehenen Raum feiern wollten. Wir dachten über die Feier eines einladenden und  lebendigen  Gottesdienstes nach; dabei sollte vor allem  betont werden, dass wir eine bewegliche, aufgeweckte und freundliche Kirchengemeinde sind. Daher sollte das Aussehen des alt-ehrwürdigen Innenraums der Kirche mit dieser neuen Mission im Einklang stehen.

Im Laufe eines Treffens, bei dem es auch um das Thema „Der Gottesdienst und der Raum der Gottesverehrung“ ging, wurden Fragebögen ausgegeben, aus den Ergebnissen der Befragung wurde klar, dass im Gegensatz zu den Gottesdiensten der Vergangenheit zukünftige Gottesdienste „offen“ und lebhaft sein sollten. Kritikpunkte waren unter anderem die traditionelle „one man show“ (also: Selbstdarstellung des Pfarrers: “Ein-Mann-Darstellung“), die Entfernung zwischen der Gemeinde und dem am Altar stehenden Pastor, die „steifen“ Kommunikanten (Abendmahlsgäste) beim Heiligen Abendmahl, die fehlende Teilnahme junger Leute und das Sitzen auf den in Reihen  angeordneten unbeweglichen Kirchenbänken. Die große Entfernung zum Platz des Taufbeckens wurde ebenfalls kritisiert.

Dann fragten Kirchenratsmitglieder, welche „Witterung“ die Stimmung der Leute erfasse, wenn sie an das Innere unserer  Kirche dachten. Unter den weniger als 13 vorgeschlagenen wesentlichen Beschreibungen des „Wetters“  waren die folgenden vorherrschend: „Nieselregen, unbeständiges Wetter und wolkig“.

Konfirmanden, die an derselben Befragung teilnahmen, taten die Meinung kund, dass ihnen die Kirche zu Lüchow wie ein Gefängnis vorkäme: Sie kämen sich vor wie in einer Falle, eingekerkert und entfremdet.

Diese Eindrücke lenken die Aufmerksamkeit auf etwas Bemerkenswertes: Innenräume haben eine Wirkung auf die, welche darin leben oder feiern. Dies wird durch die Farben, den Grundriss des Bodens, Art und Ausrichtung des Gestühls, die Baumaterialien und selbst durch die Beleuchtung bewirkt.

Selbst der  theologische Akzent- z. B. die Art wie die Inneneinrichtung der Lüchower Kirche auf den Opfertod Christi wegen unserer Sünden hin ausgerichtet ist, und zwar durch die Ausgestaltung des Altars von 1866- beeinflusse die Menschen, die sich in der Kirche befinden.

In Lüchow erzeugen vor allem  Beschränkungen, die sich aus der Struktur des Kirchenbaus ergeben, Schwierigkeiten bei der Ausübung des Gottesdienstes: Der derzeit vorhandene Altar und der lange Chorraum befinden sich ca. 25-30 Meter östlich der Kirchstuhlreihen; vor 125 Jahren schien dieses Konzept vom Standpunkt der Organisation des Gottesdienstes aus gesehen sinnvoll zu sein.

Doch heutzutage nehmen in Lüchow etwa 100 Gläubige regelmäßig am Gottesdienst teil und der Wunsch und das Bedürfnis nach Nähe während des Gottesdienstes ist heute größer. Ein neuer zentral aufgestellter Altar  - d. h. in der Mitte des Kirchenschiffes und in der Nähe der Kanzel positioniert- so wie es die derzeitigen Pläne vorsehen, würde dazu dienen, die Gottesdienstteilnehmer enger zusammenzuführen. Indem man um den „Tisch des Herren“ einen neuen Schwerpunkt setzt, könnten mehr Möglichkeiten und Optionen  der Gottesverehrung geschaffen werden als das bisher der Fall war.

Nach der Abklärung der im Gottesdienst geltenden Prioritäten wurde der Vorschlag dem Kirchenrat unterbreitet sowie all jenen Personen, die als Teilnehmer des beratenden Gremiums der Kirchengemeinde an allen  Planungsphasen beteiligt waren, um so eine zweite Diskussionsrunde in Gang zu setzten: Dabei sollte es um die kritisch diskutierte Frage gehen, inwieweit der Innenraum der St. Johanneskirche zu verändern sei. Die entscheidende Frage war: Sollte es im Innenraum der Kirche radikale Veränderungen geben oder nur kosmetische Ausbesserungen. Bei den Überlegungen spielte primär die Tatsache eine Rolle, dass man im ehemaligen Ostdeutschland sehr dringend Finanzmittel zur Erhaltung von dort befindlichen Kirchengebäuden benötigte. In diesem Zusammenhang erwog der Kirchenrat die Frage, ob finanzielle Hilfsquellen der Landeskirche möglicherweise zum Zwecke der Verwendung innerhalb der ehemaligen DDR vorgesehen werden könnten oder nicht. Denn eine völlige Neuausgestaltung des Inneren der Lüchower Kirche würde doch allen Aspekten der Gottesverehrung  Rechnung tragen  sowie auch der Verantwortung des Kirchenrates gegenüber der örtlichen Gemeinde und ihrer Kirchengebäude.

Hinsichtlich all dieser Entscheidungen wird man sich in Zukunft fragen, ob solche Maßnahmen gerechtfertigt sind, wenn man das Vermögen (buchungstechnisch: die Aktiva) der Kirche so bewahren will, wie dies eben notwendig ist und ob die geplante Neuausgestaltung angesichts finanzieller Zwänge der Gottesverehrung dienlich ist und sie fördert.

Als dritten Schritt unternahmen der Kirchenrat und das beratende Gremium der Gemeinde gemeinsam einen Tagesausflug zu alten Kirchen, in denen neue liturgische Schwerpunkte gesetzt wurden und zwar innerhalb umgestalteter Räume der Gottesverehrung. Besuche des Lübecker Doms und der St. Peter-Kirche zu Lübeck verdeutlichten die verschiedenen Möglichkeiten, die sich ergeben, wenn man die Innenräume der Kirchen „offen“ gestaltet.

Inzwischen wurden außerdem vier Künstler damit beauftragt, in Konkurrenz  Entwürfe für das vorgeschlagene neue Zentrum der Gottesverehrung  fertig zu stellen und einzureichen.

Proposed interior renovation of St. John's church (1990)
Proposed interior renovation of St. John's church (1990)